Erzählung von Dagmar Kiontke zur Bäckerei Franz-Xaver Schweiger

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Meine aus Wiesbaden stammende Oma Amalie Krackenberger (*1895) lernte den aus Staßfurt bei Magdeburg stammenden,
in Wiesbaden arbeitenden Emil Anton (*1893) kennen und heiratete ihn 1917. Tochter Martha bekamen sie 1919, Tochter Edith
folgte 1922. Irgendwann erfuhr Emil Anton, dass in Rambach eine Bäckerei zu verpachten sei
.Er hätte das Haus gerne gekauft, musste sich dann aber doch mit einer Pacht zufriedengeben. Im März 1927 zog die Familie nach
Rambach (das damals noch selbständig war), am 1. April wurde die "Bäckerei & Conditorei Emil Anton" eröffnet.
Der erste Kunde war übrigens der 4 jährige Ernst Kruszynski. Er legte eine Mark auf die Theke und verlangte: "Fünfunzwanzisch Weck."
Da meine Großeltern sprachen, ging meine Oma in die Backstube und fragte ihren Mann, was der Junge denn wohlwollte.
Er rechnete sich anhand der Menge der "Weck" und des Betrages aus: "Ich nehme an, das sind Brötchen." Diese kosteten damals
2 Pfennig das Stück. Opa Emil hat übrigens immer von den Stückchen noch eine kleinere Version gebacken. Die gab es dann als Geschenk
für die kleinen Kunden - so wie das Stück Fleischwurst beim Metzger.
Aus Erzählungen meiner Oma und Eltern weiß ich, dass vor uns im Haus ein Kindergarten und das Gemeindebackhaus waren.
Opa Emil bezeichnete sich nicht als Gemeindebäcker. Der Vorpächter soll "Theis oder Theiß" geheißen haben. Dies wurde noch
dadurch bekräftigt, dass mein Vater in den 60er/70er Jahren an seiner neuen Arbeitsstätte auf einen Koch gleichen Namens stieß,
der ein naher Verwandter des Bäckers war und die Geschichte bestätigte.

Der Kindergarten soll von Nonnen geführt worden sein, was mich verwunderte, da Rambach ja immer protestantisch war. In unserer Küche
gab es unter der Treppe zum ersten Stock eine kleine Kammer, die als Speise- oder Besenkammer genutzt wurde. Sie soll zur Zeit des
Kindergartens weiter in den Raum hineingereicht haben. Dort sollen die unartigen Kinder eingesperrt worden sein.

Opa Emil führte die Bäckerei mit Gesellen und Lehr Bub bis zu seinem Tod im Mai 1933. Ein Geselle war Ernst Martin, der bei Antons
vom Lehrling bis zum Meister Aufstieg und später in Idstein seine eigene Bäckerei gründete. Nach dem Tode ihres Mannes führte
Amalie Anton mithilfe ihrer Angestellten die Bäckerei weiter.
Plötzlich sollte das Haus zu verkaufen sein. Oma besorgte sich das Geld, und das Haus hatte eine neue Eigentümerin.
Julius Schulz, der die Rambacher Chronik führte, erzählte ihr damals, es sei das älteste Haus im Ort. Vor einiger Zeit las ich in der
Zeitung, das Haus Nr. 5 (Martha Baum geb. Schwein) sei das älteste Haus. Das mag aber daran liegen, dass bei Begehung der Straße
die Nr. 7 als nicht so alt erkannt wurde, da das Haus mit Platten verkleidet und moderne Fenster eingebaut waren, und dass sich keiner
das Haus von innen angesehen hat. Aber wahrscheinlich sind die noch vorhandenen alten Häuser der Straße sowieso alle ähnlich alt.
Als mein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Dampfbackofen einbauen ließ, fand man im Gemäuer eine Jahreszahl,
die darauf schließen ließ, dass das Haus ca. 300 Jahre alt sein müsste.
Bezüglich der Fortführung der Bäckerei kam der Zufall ins Spiel. Der Bruder von Amalie Anton, Alex Krackenberger, freundete sich im
Lazarett mit dem Bayern Franz-Xaver Schweiger (*1924) an. Xaver begann mit Martha Anton eine Brieffreundschaft. Als er aus russischer
Gefangenschaft heimkehrte, heirateten sie am 17.11.1945. Und: Xaver war Bäcker und Konditor! 1947 kam Tochter Annerose zur Welt,
1948 folgte Sohn Helmut.
Allerdings konnte Xaver nicht so einfach den mittlerweile geschlossenen Betrieb wiedereröffnen. Damals brauchte man die Erlaubnis
der Besatzer, die wohl auch für die Zuteilung der Rohstoffe zuständig waren. Eröffnen durfte er erst 1948. Bis dahin musste er Jobs annehmen,
u.a. bei den Amerikanern und bei Bäcker Abt in Sonnenberg.
Die "Bäckerei & Konditorei F.-X. Schweiger" war bei den Rambachern sehr beliebt, hatte er doch ein größeres Sortiment als die vorhandenen
Bäckereien. Es gab Torten, selbstgemachtes Eis (wie schon bei Emil Anton) und bayerische Salzstangen.
1962 wurde es eng im Haus, denn ich kam zur Welt. Wegen der Nachwirkungen seiner Kriegsverletzung musste Xaver Schweiger dann im
August 1964 den Betrieb aufgeben und eine Arbeit annehmen, bei der er nicht so viel zu stehen brauchte.

Die Häuser Gartenstraße 7 und Jakobsgasse 1 waren übrigens früher einmal ein einziges Grundstück; es wurde dann geteilt.
Da aber alles eng bebaut war, gibt es auf beiden Seiten noch heute sog. "Überbauungen". Wann die Teilung stattfand, weiß ich nicht.
Aber vielleicht war das ja zu dem Zeitpunkt, als die Straße angelegt wurde und dafür ein Teil des Grundstücks gebraucht wurde.

Bei Bauarbeiten am Anbau, in dem sich die Backstube befand, soll irgendwann einmal ein Skelett entdeckt worden sein - wahrscheinlich
ein Soldat aus einem zurückliegenden Krieg, hieß es. Irgendjemand Älteres aus Rambach hat mir später erzählt, dass der Schädel jahrelang
beim Sonnenberger Arzt und Homöopathen Dr. Witzel (der früher unser Hausarzt war) auf dem Schreibtisch gestanden haben soll.

Chronik von Dagmar Kiontke

Die heutige Kitzelberstraße hatte früher folgende Namen: An der Schule, An der Linde, Gartenstraße und wurde im Volksmund "Schoofbach" genannt.